SPD diskutiert Ergebnisse der Sondierungsgespräche leidenschaftlich, kontrovers, aber sachlich

„Der Souverän ist in der SPD immer noch das einzelne Mitglied. Nicht nur in Foren wie diesen, auch abschließend in einer eventuellen Abstimmung über einen Koalitionsvertrag werden wir alle als Mitglieder das letzte Wort haben“, betonte SPD-Kreisvorsitzender Bernhard Daldrup zum Schluss einer fast dreistündigen, leidenschaftlich, aber fair geführten Diskussion über die Ergebnisse der Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU und SPD.

Gut hundert Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten von Jusos bis AG 60+, von wohlgesonnen bis hochgradig empört, waren der Einladung gefolgt, um ihre Meinungen und Forderungen sowohl an den Bundestagsabgeordneten als auch an die Delegierten für den Bundesparteitag zu richten.

Zunächst legte Bernhard Daldrup seine Sicht auf den Vertrag dar. Das Sondierungspapier sei – verglichen mit den Jamaika-Verhandlungen – ein Erfolg: Während es dort nach acht quälenden Wochen der Diskussion zum Abbruch gekommen sei, habe man nun in fünf Tagen ein Dokument erarbeitet, das ein Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen sein könne. „Damit kann man weiterarbeiten. Damit kann man Positives schaffen“, bekräftigte der Abgeordnete und konkretisierte seine Aussage.

Beispiel: Migration und Flüchtlinge. Die CSU hatte eine Obergrenze gefordert, die SPD diesen Vorschlag stets abgelehnt. Im Papier sind nun 180.000 bis 220.000 Zuwanderer pro Jahr als Ziel angegeben. Dies seien Zahlen, die auch vom Grünen-Minister Habeck aus Schleswig-Holstein als notwendige Orientierungshilfe angesehen würden. Es gebe keine Obergrenze, im Gegenteil: Das Papier bekenne sich „strikt zum Recht auf Asyl“. Kämen mehr Flüchtlinge, müsse man mehr als die 220.000 aufnehmen. Die Zahl sei lediglich ein Ziel, das durch Bekämpfung von Fluchtursachen und europäische Verteilung erreicht werden solle und als Basis für die Finanzplanung von Bund und Ländern diene.

Im Bereich Arbeit sei die Vollbeschäftigung, ein erklärtes Ziel der SPD, realistischer denn je zuvor in den vergangenen vier Jahrzehnten. Mit einer Investition von vier Milliarden in Programme gegen Langzeitarbeitslosigkeit stehe man sehr eng an der Seite der Gewerkschaften. Die Kinderrechte würden im Grundgesetz verankert. Es gebe einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule und nationale Bildungsstandards. Das Rentenniveau werde bis 2025 auf 48 Prozent gesichert. Grundrente, die Finanztransaktionssteuer und die paritätische Krankenversicherung habe man durchgesetzt. „Da haben sich die Konservativen teils mit Händen und Füßen gegen gesträubt. Das sind Fortschritte, die gibt es nur mit uns, nicht ohne uns.“

Allerdings pflichtet auch Daldrup den Genossen bei, dass es wichtige Themen gebe, die im Vertrag fehlen: Die Bürgerversicherung sei mit der Union nicht zu machen, genauso die Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Der Verzicht auf die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen sei ebenfalls ein großes Manko und müsse bei potentiellen Koalitionsverhandlungen noch einmal auf die Tagesordnung gesetzt werden.

Doch von Genossen am Samstag getätigte Aussagen über den Vertrag als „maßlose Enttäuschung“ mit „Kosmetik“ in sozialdemokratischen Punkten oder der SPD als „FDP 2.0“ will er nicht zustimmen. „Was sollen wir denn mehr durchsetzen als unser Parteiprogramm?“, stellt er der Runde rhetorisch mit Blick auf die Stabilisierung des Rentenniveaus entgegen: „Und was passiert, wenn wir nicht in Koalitionsverhandlungen eintreten?“

Auch Christiane Seitz-Dahlkamp, neben Karsten Koch, Delegierte für den Kreis Warendorf zum Bundesparteitag, stellte fest, sie habe durchaus positive Aspekte im vorliegenden Gesprächsergebnis gefunden sei aber einzelnen Punkten gegenüber kritisch gestimmt. Sie sorge sich um die Umsetzung der vereinbarten Ziele. Deshalb sei ihr am Bundesparteitag vor allem wichtig, für einen Koalitionsvertrag konkrete, zeitliche Linien zu fordern. „Unsere Rolle ist nicht nur, ein schwarzes oder weißes Steinchen abzugeben“, zeigte sie sich offen für konstruktive Kritikpunkte, die man weitergeben könne.

Am Ende nach zweieinhalbstündiger Diskussion zeigt sich: Einig ist man sich nicht. Aber der Respekt vor anderen Meinungen ist groß und alle wollen sich konstruktiv in die weitere Diskussion über die Neuaufstellung der SPD einbringen.